#Schreibglück
Irgendwann
(veröffentlicht in: Schmidt, Kerstin (Hrsg) (2011): Frauenträume Band 1, Buchhaus Verlag, Berlin.)
Wie immer saß ihr die Zeit im
Nacken. Sie hetzte die breite Treppe vor der Universität hin-unter.
Ihre braune Ledertasche war haltlos überladen und drohte ihr von der
Schulter zu rutschen. Unter ihrem Arm klemmte ein Stapel Fachbücher
und mit ungeduldigen, fast schon fahrigen Bewegungen, versuchte sie
aus ihrer abgewetzten Tasche den Autoschlüssel zu fischen.
Wie an jedem Tag
beglückwünschte sie sich zu dem Parkplatz direkt vor dem
Eingangsportal der Universität. Sie genoss die Privilegien, die ihr
als Professorin zukamen.
Sie schlängelte sich um
einige auf der Treppe sitzende Studenten herum, lächelte ihnen zu
und nickte grüßend in die Runde.
Sie war beliebt bei den
Studenten. Ihre herzliche, fröhliche Art machte es ihr leicht die
jungen Menschen für sich einzunehmen.
Ihre Jugend lag längst hinter
ihr, die ersten grauen Strähnen zogen sich durch ihr
kastanien-braunes Haar. Eingerahmt von einem filigranen Netz etlicher
Lachfältchen schauten ihre sanften braunen Augen stolz auf ihre
fleißig lernenden Studenten. Wenn sie während der einzelnen
Vorlesungen an einem bestimmten Thema hängen blieben, sich in
Debatten und Erläuterungen verloren, dann wusste sie genau, was vor
vielen Jahren ihr Deutschlehrer ge-meint hatte, als er vom „Salz in
der zu häufig tristen Schulsuppe“ sprach. Jahr um Jahr hatte sie
immer wieder staunend die jungen Menschen begleitet. Sie unterstützt
in ihren ersten zögerlichen Versuchen, das Erlernte anzuwenden. Zu
beobachten wie ein Netz aus Wissen gesponnen wurde. Bis zu dem Tag,
an dem sie bemerkte, dass es nicht mehr nur ein Weiter-geben von
Wissen ihrerseits war, sondern, dass nun der Moment gekommen war, in
dem ihre Schützlinge sie mitnahmen auf eine Reise, auf ganz neue
Wege. Dann wusste sie, sie hatte wieder einmal Flügel gebastelt, für
ihre Studenten, die sich jetzt auf leichten Schwingen in die Höhen
und Tiefen des Lebens begeben könnten.
Der Wind wehte kräftig, auch
wenn die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel schien. Einige
Haarsträhnen hatten sich aus ihrem im Nacken verschlungenem Knoten
gelöst.
Ihre Fingerspitzen hatten
endlich die Autoschlüssel erreicht, die, wie sollte es auch anders
sein, ganz unten in ihrer Tasche lagen. Ungeduldig schob sie ihre
Hand tiefer in die Tasche, als sie im selben Moment heftig
angerempelt wurde.
Leise fluchte er über die
Parksituation in der Nähe des Hochschulcampus. Zwei Häuserblocks
entfernt hatte er parken müssen. Diese Studenten hatten sämtliche
Nischen rund um das Eingangsportal der Hochschule zugeparkt. Und da
hieß es, dass Studenten überall mit dem Fahrrad hinfuhren. Er
schnaubte missgelaunt, als er einer Gruppe junger Frauen ausweichen
mußte, die laut schwatzend den ganzen Gehweg einnahmen.
Er konnte sich nicht erklären,
warum er den Bitten des Fakultätsleiters nachgegeben hatte. Er
konnte Studenten nicht ausstehen, er konnte die Hochschulpolitik
nicht gutheißen und er war ein durch und durch praktisch veranlagter
Mensch. Er hielt nichts davon irgendwelchen mittelmäßigen Gören
reicher Eltern die Theorie der Verhörmethoden runterzuleiern.
Ent-weder man war in der Lage einem hinterlistigen Meuchelmörder ein
Geständnis aus der Nase zu ziehen oder eben nicht. Diese kleinen
Wichtigtuer träumten alle davon einmal ein schnittiger Bundesagent
zu werden, die meisten würden es nicht mal zum einfachen
Streifenpolizisten bringen. Dessen war er sich sicher.
Er ging schnell, doch er war
kein bisschen außeratem.
Sein Körper war drahtig und gut trainiert. Er lief jeden morgen eine
Stunde durch den großen Stadtpark. Sein dunkelbraunes fast schwarzes
Haar war akkurat geschnitten, am Hinterkopf mit der Maschine
kurzgehalten, am Oberkopf ein wenig länger. Sein Gesicht war sehr
maskulin, seine schwarz-blauen Augen wirkten hart und sein Blick kalt
und unerbittlich. Tiefe Falten zwischen den Augen und um den Mund
verliehen ihm ein leicht verbittertes Aussehen. Er war ein
attraktiver Mann und seine verschlossene, geheimnisvolle Art wirkte
auf Frauen jeder Altersstufe äußerst anziehend.
Böiger Wind schlug ihm
entgegen, als er um die Ecke bog. Er hatte die breite Treppe
erreicht, die zu den Gebäudekomplexen, in denen die Hörsäle
untergebracht waren, führte.
Hinter ihm ertönte der
lebenslustige Ruf eines jungen Mannes. Blitzschnell wandte er den
Kopf in die Richtung aus der die Stimme des kam. Seine Augen
verrieten für den Bruchteil einer Sekunde eine verzweifelte
Sehnsucht. In seinem Kopf hallte eine schmerzlich vermisste Stimme
wider. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und es schien als quälte
ihn dieser Ausdruck Guter Laune. Er bewegte den Kopf hin und her, wie
um die folternden Erin-nerungen abzuschütteln. Erinnerungen an
wunderschöne Zeiten, Zeiten in denen er lachend und vergnügt mit
seinem Sohn hatte zusammen sein könnte. Zeiten, in denen er nicht
Abend für Abend in ein leeres, stilles Haus gekommen war.
Er fuhr sich mit dem
Handrücken über die Augen, als könnte er damit seine Gedanken
weg-wischen. Der kurze Moment der Unachtsamkeit reichte aus und er
stieß heftig mit einer an-deren Person zusammen.
Sie verlor das Gleichgewicht.
Ihre Tasche rutschte von ihrer Schulter, der Verschluss sprang auf
und Unmengen von Papieren wirbelten durch die Luft. Die schweren
Bücher fielen mit dumpfen Geräuschen zu Boden.
Sie versuchte wieder Halt zu
finden, doch im selben Moment schoss ein beißender Schmerz in ihr
linkes Knie und ließ sie zu Boden gehen. Tränen schossen ihr in die
fest zusammen gekniffenen Augen, sie japste nach Luft bevor sie sich
zwang ruhig zu atmen. Sie hielt die Augen weiterhin geschlossen und
den Kopf gesenkt. Mit beiden Händen umklammerte sie ihr schmerzendes
Knie. Sie hörte Tumult um sich, aufgeregte Stimmen, die Ihren Namen
riefen und wirres Gemurmel.
Die
tiefe, raue Stimme ertönte dicht an ihrem Ohr: „Haben sie sich
verletzt?“
Eine warme Hand legte sich
sanft auf ihre Schulter.
Sie schüttelte den Kopf und
öffnete langsam die Augen. Der jähe Schmerz in ihrem Knie flaute
langsam ab, ihr Puls schlug ein wenig ruhiger und ihre Atmung wurde
wieder gleichmäßiger.
„Geben sie mir nur einen
Moment, bitte.“ Ihre
Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern. Der Schreck saß tief
und kleine schwarze Punkte ließen ihren Blick verschwimmen. Sie
atmete noch einmal tief durch und wandte sich dann in die Richtung
des Mannes. Sie be-trachtete sein Gesicht, das ihr viel näher war,
als es der gute Ton vorgab.
„Ich war einen Moment
abgelenkt und habe sie direkt umgerannt.“ Besorgt
griff ihr Gegen-über nach ihrer Hand. „Es tut mir leid. Haben sie
Schmerzen? Was ist mit ihrem Bein?“
Sie öffnete den Mund um etwas
zu sagen und schloss ihn dann wieder. Seine
Augen, dachte sie
und legte ihren Kopf ein wenig schief, so
traurige Augen habe ich noch nie gesehen.
Benommen senkte sie ihren Blick und betrachtete seine Hände, die
sich schützend um ihre eigene
gelegt hatten. Was
für wunderschöne Hände,
sie sah ihm wieder in die Augen und lächelte. Zögernd verzog er
seinen Mund ebenfalls zu einem Lächeln, als dieses Lächeln seine
Augen erreichte, wirkten seine Gesichtszüge weich und freundlich,
beinahe sanft.
„Würden sie mir auf die
Beine helfen?“, bat sie den unbekannten Mann, der sie mit seinem
Blick fesselte. Er umfasste ihren Ellenbogen und stützte sie. Leicht
schwankend ließ sie sich gegen ihn sinken. In ihrem Knie pochte es
unangenehm. Eine ältere Verletzung die sie sich bei einem
Tennisspiel zugezogen hatte und die ihr immer mal wieder Ärger
machte.
Sie sah, dass eilfertig einige
Studenten ihren Unterlagen nachgejagt waren und schon dabei waren,
diese wieder in ihre Tasche zu legen.
„Was sagt ihr Knie? Können
sie auftreten?“ Er hielt sie noch immer fest.
Sie lächelte ihn an und
wunderte sich über die winzigen Schmetterlinge, die in ihrem Magen
leicht zu flattern begannen. „Könnten sie mir bitte helfen zu
meinem Wagen zu gelangen? Er steht gleich dort vorn.“ Sie nickte in
die Richtung in der ihr Wagen stand.
„Meinen sie, dass sie fahren
können?“ Er musterte sie mit strengem Blick.
„Automatik.“ Sie
lachte leise. „Zum Fahren brauche ich nur mein rechtes Bein.“
Langsam humpelte sie, gestützt
von dem ihr fremden und doch so beeindruckenden Mann, die Treppe
hinunter, während einige der hilfsbereiten Studenten ihre Tasche
unaufgefordert zum Auto trugen.
Bevor sie sich in ihrem Wagen
setzen konnte hielt er sie mit festem Griff zurück. „Würden sie
mit mir einen Kaffee trinken gehen?“ Er sah ihr eindringlich in die
Augen. „Irgendwann?“
Sie runzelte die Stirn, es
dauerte nur einen Wimpernschlag lang, doch er hatte die gut
verborgene Trauer in ihren Augen erkannt.
„Irgendwann werden wir
gemeinsam einen Kaffee trinken.“ Sie
lächelte und er überlegte, ob er sich ihre Trauer nur eingebildet
hatte.
„Irgendwann“, murmelte
sie, während sie sich auf den Fahrersitz ihres Wagens setzte.
Sie öffnete die Haustür zu
einer alten Stadtvilla. Leise klassische Musik durchflutete die
hel-len, großen Räume. Der schwere Geruch von Medikamenten,
Krankheit und Desinfektions-mittel hüllte sie ein. Plötzlich
brannten ihre Augen. Es schien als würde sie die Berührung des
fremden Mannes auf ihrem Arm noch einmal spüren.
Energisch hob sie ihren Kopf,
räusperte sich und schritt durch eine große zweiflügelige Tür in
einen sonnendurchfluteten Raum. Ein Krankenbett stand unterhalb der
großen Fenster. Das röchelnde Atmen des Mannes in diesem Bett
erfüllte den Raum.
Sie erreichte den Mann, strich
ihm sanft einige Strähnen dünner Haare aus der Stirn und küßte
ihn sanft auf den Mund, ohne dass dieser Kuß erwidert wurde.
„Hattest du einen schönen Tag, mein Liebling?“ Eine Antwort kam
nicht von ihrem Mann, sondern von der Stimme einer Krankenschwester,
die durch eine weitere Tür den Raum betreten hatte.
„Heute hatte er einen
schlechten Tag.“ Die stämmige Frau zuckte mit den Achseln.
Die Professorin ergriff mit
einem wissenden Nicken die Hand ihres Mannes und blickte
gedankenversunken aus dem Fenster.
„Irgendwann!“, flüsterte
sie sehnsüchtig.
Toll. Mehr davon. <3
AntwortenLöschenDanke!! <3
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