Donnerstag - auf einen Kaffee ... und etwas mehr

Liebevoll streiche ich über die lockige Mähne und das samtweiche, goldene Fell des Haflingerjungen, während der Veterinär schimpft.
"Das ist ein verzogener Pflegel, dieser Bengel." Noch einmal fasst der Veterinär dem Haflingerjungen ans Hinterbein und noch einmal lässt der pflegelige Bengel es sofort nach hinten rausschnellen.
"Nur bei dir, lieber Doktor! Nur bei dir", sage ich lachend und zerzause dem Haflingerjungen den Schopf. "Du stichst ihn mit Nadeln, misst Fieber und greifst ihm zwischen die Beine - der Haflingerjunge ist empfindsam. Nichts weiter."
Der Veterinär schüttelt den Kopf, während wir den Pflegel in seine kleine Freiheit entlassen und zurück zu unseren Kaffeebechern schlendern, die auf dem Steinmäuerchen in die morgenkühle Herbstluft dampfen.
"Du musst dir das Haflingerpferd noch einmal ansehen, Doktor", bestimme ich und weiß, dass der Veterinär gleich mit den Augen rollen wird. "Sie benimmt sich, als hätte sie eben doch aufgenommen. Du wirst nicht gründlich genug geschaut haben!" Der Vorwurf ist unberechtigt, das weiß auch der Veterinär. Keiner ist so gründlich und gewissenhaft wie er!
"Ach, Züchterin! Warte es doch einfach ab", seufzt der Veterinär und stellt seinen Becher erneut auf das Mäuerchen, während er sich dem Pferd zu wendet. Ich betrachte sein Profil und muss grinsen. Dieser Veterinär ist ein wirklich hässlicher Kerl. Dieser lange, ovale Kopf mit dem zausen Haar und den abstehenden Ohren ... Doch sein Herz ist so groß, dass es ihn zu einem der Schönsten macht.
"Dein Stallklima passt nicht, Züchterin! Das sage ich dir andauernd", schimpft der Veterinär und streicht dem Pferd über den Bauch, was sie dazu veranlasst ihm ihr eindrucksvolles Gebiss auf kopfhöhe zu präsentieren. Ich schimpfe das Pferd und sage dann an den Doktor gewandt:
"Denkst du ,ihr schlagen die laufenden Streitereien der Menschen aufs Gemüt, lieber Doktor? Da kann ich dich beruhigen: In Kürze zieht ein passionierter Nacktreiter hier ein, der zwei Mal im Monat sein Pferd nach der aktuellen Befindlichkeit frag. Tierkommunikation. Dann wird der Wind sich wieder ein wenig drehen."
Der Veterinär lüpft eine Augenbraue und schüttelt resignierend den langen Kopf. "Nehmt doch wenigstens die Scheiben aus den Fensterlöchern, Züchterin!"
Ich seufze schwer und zucke die Schultern. "Lieber Doktor, du weißt, dass es nicht mein Stall ist. Ich habe schon Löcher in die Boxenwände gebohrt - das hast du noch gar nicht lobend erwähnt! Du weißt doch, dass die Bäuerin Haare auf den Zähnen hat. Die Pferde gehen nach der Abenddämmerung rein und vor der Morgendämmerung wieder raus, lieber Doktor. Sie haben es nicht so schlecht, wie du gerne tust."
Der Veterinär tätschelt dem Pferd den Oberschenkel, was ihr ein Quicken entlockt - und mir ein verstimmtes Aufstöhnen. "Siehst du, lieber Doktor. Das Pferd ist ein unmögliches Weibsbild!"
"Aber vielleicht ist das Pferd eben einfach ein unmögliches Ding. Das muss kein Indiz für eine Trächtigkeit sein."
Ich seufze wieder etwas schwerer. "Aber, Doktor! Das hieße, dass das Pferd einfach unmöglich ist. Das würde es mir nicht leichter machen mit ihr auszukommen."
Der Veterinär schlüpft in einen Rektalhandschuh und greift nach einer großen Tube Gleitgel. "Staubt denn das Stroh noch so? Oder habt ihr mittlerweile eine bessere Qualität."
Der Veterinär hebt den Schweif des Pferdes zu Seite. Das Pferd lässt unterdessen warnend das zuvor entspannt angewinkelte Hinterbein zu Boden krachen.
Ich werfe dem Veterinär einen triumphierenden Blick zu. "Für gewöhnlich freut dieses liederliche Luder immer über deinen Besuch, lieber Doktor - es sei denn sie trägt!"
"Züchterin, du strapazierst meine Geduld!", tadelt der Veterinär. "Zudem kann auch das liederlichste Luder hin und wieder unwillig sein."
Ich zuckte grinsend die Schultern. "In dem Fall muss ich auf dein Wort vertrauen, lieber Doktor! Und was die Qualität von Heu und Stroh angeht ..." Ich weise nickend auf die Auen, die derweilen von unanständig gewaltigen Landmaschinen zerfahren werden. "Biogas, lieber Doktor! Ich hatte eine der Wiesen pachten wollen. Doch ich habe die schlechteren Argumente. Sie kommen alle paar Wochen, mähen ratzekahl alles ab und fahren den Schnitt samt und sonders in ihre Anlagen. Die Wiesen eignen sich höchstens noch als Kuhweiden. Überall sprießen die Herbstzeitlosen ..."
Der Veterinär schüttelt den Kopf und beginnt die Untersuchung. Das Pferd schüttelt unwillig den Kopf, bleibt aber brav. Meine Hand krault ihre Kruppe, mein Mund murmelt liebkosende Worte.
"Lass sie doch einfach draußen, Züchterin. Immer dieses Einsperren in Boxen! Blutet dir dabei nicht das Herz?"
Ich nicke. Natürlich tut es das. "Wenn die Retterin oben auszieht, dann übernehme ich den Offenstall, lieber Doktor. Hier unten traue ich den Zäunen nicht - und das Pony ist ein Boxenpferd. Sie kann es nicht leiden in der Nacht draußen sein zu müssen. Gestern war ich wieder spät dran, da hat sie schon drinnen gestanden, lieber Doktor. Mit geöffneter Tür und runtergerissenem Zaunband. Sie musste vermutlich dringend pinkeln."
"Züchterin! Du und die Retterin - ihr seid wohl die Verrücktesten von meinen Pferdefrauen. Und die mit den verrücktesten Pferden."
Da hat der Veterinär wohl recht. Doch was soll es schon?
"Hat die Retterin wieder was gerettet?" Der neugierige Blick des Veterinärs trifft mich und ich muss lachen. Ulkig sieht es aus, wie er bis zur Schulter im Pferd steckt. Den Arm vollkommen verdreht um ans rechte Gebärmutterhorn gelangen zu können und den Kopf wie ein Käuzchen gereckt, um mich zu sehen.
"Ja, das hat sie. Eine trächtige Ponystute aus Spanien. Mit einem Fohlen bei Fuß. Haben wohl schon im Schlachthaus gestanden. Doch nun hängen sie irgendwo fest. Der spanische Veterinär hat die Druse diagnostiziert."
Der Veterinär hat einen staubtrockenen Humor. "Dann reicht es bald für mein mobiles Röntgengerät, Züchterin!"
Ich nicke bekräftigend. "Ganz bestimmt, lieber Doktor. Zumal das spanische Pony von einem Kaltbluthengst trägt!"
Meine Worte lassen den Blick des Veterinärs sehr müde werden. "Du bringst deine Fohlen aber vom Hof, bevor die spanischen Mähren hier ankommen, Züchterin. Nicht wahr!? Du musst eine Quarantäne durchsetzen. Ach, Züchterin! Die Retterin von oben bringt mich um den Schlaf."
Ich lache leise und schiebe dem Pferd eine Karotte ins Mäulchen, als der Veterinär seine Untersuchung beendet hat. "Nun sag mir wie es um meinen Nachtschlaf im kommenden April bestellt ist, lieber Doktor!"
"Sehr gut, Züchterin. Du wirst die Nächte durchschlafen können."
Ich werfe dem Pferd einen finsteren Blick zu. "Gut, dann wird sie jetzt arbeiten. Der Züchter will diese Geldschleuder beim Europachampionat laufen lassen, lieber Doktor. Das launische Weibsbild."
Der Veterinär lacht laut auf. Der Züchter ist nicht unbedingt für seinen Realismus bekannt - aber wer weiß.
Wir entlassen auch das Pferd in die kleine Freiheit und setzen uns auf die Bank vor dem Stall, um den Papierkram zu erledigen. "Beim nächsten Mal treffen wir uns wieder am Nachmittag, Züchterin. Meine Assistentinnen fehlen mir, bei den Strafarbeiten hier."
Ich zucke mit den Schultern. "Ach, lieber Doktor, am Nachmittag sitzen wir uns die Hintern platt und büffeln Deutsch und Mathe. Es ist ein Graus dieser Tage."
Der Veterinär nickt wissend. "Soll ich die Große in den Ferien arbeiten lassen?"
"Lass das Kind mit in den OP, lieber Doktor! Damit sie Blut leckt."
Der Veterinär rollt mit den Augen und murmelt etwas das klingt wie ein verächtliches "geschmacklos". Dann schaut er von seinem Papierkram auf. "Aber ja, ich lasse sie überall mitmachen. Vielleicht hat ihre intrinsische Motivation gelitten?"
Ich nickte kummervoll. "Ach, lieber Doktor, es ist so schwierig alles richtig zu machen."
"Ja, liebe Züchterin, das ist es, aber sei nicht so streng mit euch. Ihr seid doch wunderbar - das schreibt einem doch ohnehin niemand auf ein Zertifikat."
Wir seufzen ein bißchen, dann schießt ein Gedanke durch meinen Kopf und ich muss lachen. "Habe ich dir schon von dem Jungen erzählt, lieber Doktor. Dem Jungen, der in der Tierklinik in der Heide immer seine Ferien bei den Doktoren verbracht hat?"
Der Veterinär schüttelt den Kopf.
"Mit der Schule hatte der Bengel nicht viel am Hut und kam auf die Hauptschule. Dann fing er an jede freie Minute in der Tierklinik zu verbringen. Er beobachtete oder assistierte gar bei jeder Behandlung und legte sich Ovarien von Katzen und Hunden und die Testikel sämtlicher Gattungen in Formalin ein, sammelte Tumore und Griffelbeine, wie Briefmarken, und stellte sie in seinem Kinderzimmer in ein Regal."
Der Veterinär schnaubt. "Die Eltern werden ihre helle Freude an dem Kind gehabt haben!"
Ich lache. "Er lebte bei den Großeltern. Die kamen damit gut zurecht. Jedenfalls ging er nach der Haupt auf die Realschule, von der Realschule aufs Gymnasium, machte das Abi mit einem 1er Schnitt und ist mittlerweile Assistenzarzt in der Heideklinik."
Der Veterinär stößt einen anerkennenden Laut aus. "Nun gut, dann besorge ich Formalin und du Einmachgläser in verschiedenen Größen, ja?"
"Ach, mein lieber Doktor! Ich wußte doch, dass ich auf dich zählen kann!"

Ich schenke noch ein wenig Kaffee nach und genieße das wohlige Gefühl, das mich überkommt, während ich mit dem Veterinär in der Herbstsonne sitze.

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