Mittwochmorgen - vor Tagesanbruch
Das
lästige Klingeln des Weckers an jedem Morgen hinterlässt ein paar
quälende Spuren auf
dem Gemüt. Wie sooft
liege ich dann im Halbschlaf da und bereue es, den Wecker ganz
ausgeschaltet und nicht wenigstens die Schlummerfunktion aktiviert
zu haben.
Die Gedanken kreiseln durch die Gegend. Taumeln von links nach recht
und drehen sich im Kreis, bis etwas ihnen
Halt gibt und mich
gänzlich aufwachen lässt.
Da
es nie schön ist das Bett zu verlassen, kommen kleine Flüche aus
meinem Mund, während ich die Bettdecke zurückschlage und meine Füße
nach den Hausschuhen tasten. Der Steinboden im Badezimmer ist für
nackte, schlafwarme
Füße viel zu kalt.
Die
Stallklamotten liegen bereit und wie an jedem Morgen frage ich mich,
wie ich es aushalten soll,
jetzt gleich in die morgendliche Herbstkälte zu gehen. Allein bei
dem Gedanken fröstelnd,
putze ich meine Zähne. Die verflixte elektrische
Zahnbürste ist zu dieser frühmorgenträgen Zeit lauter als ich sie
ertragen könnte und so schrubbe ich mir die Zähne zwar mit der
elektrischen Bürste, aber eben nicht elektrisch.
Es
fällt mir schwer meine Gedanken zu fokussieren, noch immer springen
sie flohwild herum,
beschwören Bilder herauf, die teils Traum, teils Erinnerung, teils Wunsch sind. Zum Glück gelingt die Morgenroutine auch
schlafwandlerisch. Toilette und Waschbecken sind rasch geputzt und
das ist wohl ein großer Blödsinn. Kommen doch die Badnutzer erst
noch und dann werden
sie die Bemühungen
samt und sonders ungeschehen machen. Doch es hat nun einmal an der
Stelle seinen Platz. Wer sollte dagegen schon etwas tun?
Nach
der Schlafwärme und dem Morgenfrösteln steigt langsam die
Tagestemperatur in mir
und erreicht ein angenehmes Wohlgefühl,
während ich die Brotzeitboxen meiner
Mädchen bestücke.
Bis
mich ein erneutes Weckerklingeln um vieruhrfünfundvierzig aus dem
Haus treibt, ist mir warm und ich bin hellwach.
Während ich den Gartenweg hinuntergehe spähe ich zum Nachbarhaus
und seufze ein bißchen. Es fehlt mir, das Licht hinter den Fenstern,
die zum Gruß gehobene Hand. Seit einigen Wochen sind die Lichter
aus, hebt sich keine Hand mehr zum Gruß. Ein Hauch morgendlicher
Schwermut erfasst mich und wird sofort vom Rascheln der Blätter
fortgetragen.
Langsam
fahre ich durchs verschlafene
Dorf und es sind immer die selben Fenster hinter denen schon Lichter
zu erkennen sind.
Wieder
rascheln die Herbstblätter unter meinen Füßen und kleine,
glänzende Kastanien rollen hüpfend über den unebenen Boden, wenn
ich versehentlich mit dem Fuß dagegen stoße.
Schon
vor der Stalltür höre ich, das Erwachen der Pferde, die genau
wissen, dass ich draußen im Dunkeln herumtappe. Die Fohlen wiehern
mit ihren hellen Kinderstimmen. Die erwachsenen Pferde rappeln sich
mühsam aus dem Strohbett auf - bei den älteren Tieren dauert es
etwas länger. Sie strecken sich und laufen einige Runden in ihren
Boxen umher. Ein Blick
von mir in jede Box.
Sind alle wohlauf? Der eine oder andere möchte seine Ruhe. Soll er
haben. Ich genieße die Wärme, die von den massigen Leibern der
Vierbeiner abstrahlt.
Der
dichte Morgennebel kommt heute direkt aus einem schwarzweißen
Gruselfilm und wabert bis an den Stall heran. Während ich das Heu
portioniere, kommt das Pferdemädchen aus der Dunkelheit. Sie weint.
So früh am Morgen schon. Ob sie überhaupt schläft? Sie sieht nicht
danach aus.
"Hast
du den Kuchen gegessen?", frage ich statt einem Gruß und lege
alle Sorge in meinen Blick.
"Ein
bißchen", flüstert sie heiser und schluchzt für die nächsten
Minuten am Hals ihres alten Ponys.
Die
Liebe ist ... was sie ist. Ich seufze ein bißchen vor mich hin und
schimpfe mein großes Haflingerpferd, weil es sich beim Essen wieder
nicht benehmen kann und ihrer Tochter ein so schlechtes Vorbild
ist.
"Du
bist immer so streng mit ihr!", sagt das Pferdemädchen leise
und runzelt die Stirn.
Ich
rolle mit den Augen und bringe dem nächsten Pony sein Frühstück.
"Nein. Diese beiden hier können sich auch
benehmen. Das Pferd
ist einfach ein stures Ding!"
"Du
nimmst immer jeden wie er ist - nur das Haflingerpferd nicht."
Sie
klagt mich nicht an, sie stellt nur fest und kann es sich scheinbar
nicht erklären. Ich kann es mir auch nicht erklären und zucke nur
mit den Schultern. "Sie will einfach nicht!", murre ich und
greife nach den ersten Portionen Heu, die raus auf die Paddocks
gehören.
"Bei
mir will sie immer. Ihr seid einfach nicht für einander gedacht ..."
Ich
schaue auf. Die Stimme des Pferdemädchens wird schon wieder brüchig
bei diesen Worten. Vermutlich fällt ihr ein, dass Gleiches auf sie
und ihre Liebe zutrifft.
"Es
passt eben nicht immer ...", murmel ich leise und streiche dem
Haflingerjungen über die samtige Nase und küsse ihn dann. "Du
passt ganz hervorragend, du kleiner Rotzlöffel!"
Ich
stolper mit den schweren Heusäcken links und rechts in der Hand raus
auf die Paddocks und verteile das Frühstück auf die Futterstellen.
Es ist stockfinster, sodass ich kaum etwas sehen kann. Tastend
vergewissere ich mich ob die Tränker funktionieren, dann taumel ich
zurück in Richtung Licht
und Wärme.
Das
Pferdemädchen sitzt mit der fetten Stallkatze auf dem Schoß im
Stroh und weint wieder. "Nun komm, Pferdemädchen. Bring deine
Ponys raus und gib ihnen Heu. Du musst gleich zur Arbeit."
Ich
greife nach den Halftern und öffne die Box vom Haflingerpferd und
ihrer Tochter. In der Hoffnung weitere Körner zu finden schnobern
sie mit ihren Nüstern über den Boden. Schubsen raschelnd Einstreu
zur Seite.
"Nun
komm, Pferd. Draußen wartet doch dein Frühstück." Ich
schimpfe es wieder ein bißchen, weil es immer so stur ist,
und muss lachen, als es mich direkt ansieht. "Vermutlich sind
wir uns einfach zu ähnlich, was,
Pferd?"
Verträumt
in die Dunkelheit starrend gehen das Haflingerpferd und ihre Tochter
neben mir her zum Paddock
- aber ich würde darauf wetten, dass sie nicht mal bemerken,
dass ich da bin.
Am
Tor wird es wieder holprig. Das Pferd ist mit träumen beschäftigt
und das Pferdekind möchte sowieso lieber in eine andere Richtung.
Ich schimpfe wieder ein bißchen vor mich hin.
Im
Stall wartet der Haflingerjunge schon ungeduldig
und schlüpft eilig und wie von Allein in sein Halfter. Seine Mama,
das Pony, tut es ihm wie gewohnt gleich und wir gehen gemeinsam raus.
Gemeinsam. Für diese beiden brauche ich gar kein Halfter - sie
würden nie von meiner Seite weichen. Und manchmal passt es eben
einfach.
Die
morgendliche Stallarbeit ist bißchen wie weiterschlafen, denke ich
mir so, während ich Schubkarren mit verschmutzter Streu fülle und
leere. Und meine Gedanken dabei wieder ins Taumeln geraten. Im Moment
haben meine Gedanken oft Schlagseite und benehmen
sich wie das Haflingerpferd, das nicht zuhören und nur herumträumen
will. Das passiert wohl wenn überraschend manches passt.
Der
Besen fegt die Stallgasse beinahe von alleine. Das Pferdemädchen hat
sich derweil umgezogen und verabschiedet sich zur Arbeit. "Iss
um Himmelswillen mehr Schokolade, Pferdemädchen!", rufe ich ihr
hinterher, bevor ich auch aufbreche.
Als
ich in das Auto steige zeigt die Uhr im Armaturenbrett
fünfuhrvierundvierzig - gleich bricht der neue Tag an.
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